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Der Schlachttag

Mannigfach waren die Bräuche, den Schlachttag anzuzeigen. In Berlin war am Fleischerladen eine weiße Fahne aufgesteckt, rot bestickt mit der Aufschrift: "Frische Wurst". Oder ein Stuhl stand vor dem Laden , um den eine Fleischerschürze gebunden ist.

Andernorts, etwa in Velden an der Pegnitz oder in Schweinfurt baumelte an der Wirtschaft - gleich den ältesten Formen der Mitteilung eigenen Ausschanks durch einen aufgesteckten Kranz oder "Buschen" - eine aufgeblasenen Schweinsblase, die nicht ohne Logik das Schlachtfest kund tat. Denn wie es heißt:
"Wo käme hier die Blase her,
Wenn die Sau noch lebend wär!"

Gleichzeitig bedeutet die Schweinsblase, dass es heute die so beliebte Fränkische Schlachtschüssel gab; sie war in Schweinfurt ein besonderer kulinarischer Brauch. Vor den Gästen, die an langen Holztischen saßen, jeder mit Besteck bewaffnet, neben sich Brot, den Schoppen Wein oder Most, Meerrettich, Salz und Pfeffer, häufte der Wirt "nach altdeutscher Sitte" mit einer Kelle das "Krettelfleisch" auf die blanke Holzplatte. Die frisch gesottenen Fleischstücke marschierten in der Reihenfolge ihres Weichwerdens auf; jeder schnitt sich nach Gutdünken ab, sparte jedoch noch ein Restchen Esslust, bis etwa nach einer Stunde des Tafelns die Würste erschienen, Blutwürste, in Mainfranken "Kneuteli" genannt, Leberwürste und Bratwürste.

Auch in Schwaben war die Schweinsblase das Lockfähnchen zur Wurst- oder Metzelsuppe, die sich, wie übrall, aus Wurstbrühe, frischen Leber- und Blutwürsten, gewürzt mit Majoran und ergänzt mit gerösteten Semmelwürfeln, zusammensetzte. Vielfach hieß das Schlachtfest selbst "die Wurstsuppe", so etwa in Wetter bei Marburg.

Das Loblied der Metzelsuppe hat Ludwig Uhland gesungen und dabei natürlich der Würste gedacht:
"So säumet denn, ihr Freunde, nicht,
die Würste zu verspeisen,
und laßt zum würzigen Gericht
die Becher fleißig kreisen!
Es reimt sich trefflich Wein und Schwein,
und paßt sich köstlich Wurst und Durst;
bei Würsten gilt's zu bürsten!"

Und Friedrich Stoltze verfasste eine Scharade darauf:
"Un des Ehrschte ds isst merr und isst aach des zwett,
Un des Ganze, des dhut merr ääm schneke,
Un is in dem Ganze des Ehrschte net,
So dhut merr des Jemand verdenke.
Un's Zwette is oft ohne's Ehrschte zu seh
Un's Ehrschte oft ohne des Zwette;
Doch's Ganze kann net ohne's Ehrschte besteh,
Da wollt ich mein Kopp druff verwette."
(Auflösung: Worschtsupp)

Im schlesischen Bauernhaus kam das Schweineschlachten unmittelbar hinter den hohen kirchlichen Festen. Dora Lotte Kretschmer schrieb darüber im "Schlesischen Himmelreich":
"Mit Wellfleisch fängt es an. Lecker sind Schüsseln rundum garniert mit Kosthäppchen von Milz, Herz und Niere. Ein Getreidekorn kommt nach, das ist der erste Streich. Um 12 Uhr bringt die Mutter die Wellwürste; die dunklen und die lichten. Ist Semmel oder Graupen drin? Man schmeckt es gleich."
Zum echten Schweineschlachten gehörte als unumstößlicher Bestand auch hier die Wurstsuppe. Die schlesische Begeisterung dafür hat Gerhart Hauptmann in seiner Vagabunden-Komödie "Schluck und Jau" gebracht: Einer der Vagabunden wird bekanntlich mit tiefem Rausch von einem Edelmann aufgegriffen, in ein prächtiges Himmelbett gelegt und beim Erwachen als "Majestät" behandelt. Eilfertige Diener nähern sich dem Bett und fragen nach den Wünschen der Majestät. Diese richtet sich schlaftrunken auf und brüllt: "Wurschtsuppe!"

Auch in Bremen war es vor rund 100 Jahren noch Brauch, dass man sich in den alten kleinen Straßen beim Schlachtfest nachbarlich mit kleinen Würsten beschenkte. Oftmals wurde in eine der Grützwürste auch eine Pflaume gestopft; wenn ein Mädchen diese Wurst erwischte, so hieß es, würde sie im nächsten Jahr Braut werden.

In der Oberpfalz luden sich die Nachbarn "zum Sausack" ein. Schon bei Hans Sachs heißt es:
"Ich hab ju auch all jar geladen
vast zu all meinen Sausecken."

Noch vor 50 Jahren hatten vielfach auf dem Lande die Kinder zum Schlachtfest schulfrei. Sie durften aber dem Schlachter nicht im Wege stehen, sonst "maß" er ihnen einen Teil des gerade zu füllenden Darmes durch den Mund. Man schickte wohl auch eigens ein Kind zum Nachbarn, der schlachtete, mit dem Scherz-Auftrag: "Geh hie, loss der e Worscht aamesse, dreimol um de Leib erum!"

Hausschlachtungen gab es seit jeher, nicht nur auf dem Lande. In einer Stadt wie Hamburg deckte sich noch bis tief ins 18. Jahrhundert hinein jedes Haus ein für den Winter mit Pökelfleisch, Rauchfleisch und natürlich auch mit Würsten. Es bestand unter den Bürgern ein Wettstreit, wer das schönste und größte Tier zur Schlachtzeit aufweisen konnte.

In Braunschweig aß man zum Schlachfest frische gebratene "Semmelwurst" mit Weißkohl. In der Lüneburger Heide hieß der Schlachtschmaus die "Wurstköst"; es gibt dort Beutelwurst, die aus Grütze, Roggenmehl, Blut und letzten Fleischresten, Salz und Zwiebel besteht.

Je höher die "Wurstkultur" einer Gegend ist, um so mehr Gewicht wird auf das Gewürz und das Wurstabschmecken gelegt. Der Mundkoch des Fürsten zu Fürstenberg, J. B. Veit, schreibt in seinem "Schule und Geist der Kochkunst", Stuttgart 1861: "Überhaupt liegt die größte Kunst des Wurstmachens in der richtigen Anwendung der Kräuter und Gewürze, dass man von keinem zuviel nehme und die Stärke ihres Geschmackes zu beurteilen verstehe."

Wer sich im Schwäbischen beim Schlachtfest den Magen verdorben hat, wird scherzhaft gefragt: "Isch Dir der Wurschtbändel ufgange?"
Ein Schlachtfest- und Kirmes-Lied der Grafschaft Glatz heißt:
"Ich eß gerne von der Worscht,
hat's recht Pfeffer drinne,
denn da kriegt ma tüchtig dorscht,
's lauft aus wie 'ner Rinne.
Is de Worscht recht derb gefüllt,
daß se aus dem Darme quillt:
Hört, a solches Fressa
kann i nit vergessa.
Ganz unbandig knarrts nu sehr
in a Eigeweida,
doch mit Branntwein und mit Bier
vertreibt ma sich das Schneida.
Mancher wird erbärmlich krank
und liegt auf der Ofenbank,
mancher ruft die Mutter:
Schmär' mir 'n Bauch mit Butter!"


Anekdoten aus der Welt der Wurst